Zugegeben, Geburtstag feiern hat eine sehr narzisstische Anstrich. Aber es ist auch eine Gelegenheit, das Leben zu feiern. Und sich ein paar Gedanken zu machen, zum Leben, und so.
Manchmal überkommt es mich. Ein Thema beginnt in mir zu rumoren und braut sich in mir wie heisse Lava zusammen. Und es sucht sich einen Weg: Gefühle, Gedanken, Erinnerungen, Schlussfolgerungen, Überlegungen, Erfahrung, Beobachtungen, formen sich zu einem Strom, werden in Worte gepresst und suchen eine Möglichkeit, aus mir herauszukommen, fast wie eine Eruption. Dies ist so geschehen vor und an meinem Geburtstag. Verzeiht, wenn diese Eruption ungefiltert und subjektiv ist.
Geburtstag feiern ist ja schon eine narzisstische Sache... Allerdings finde ich Geburtstage auch immer eine wunderbare Gelegenheit, das Leben zu honorieren. Rückschau zu halten und Dankbarkeit fürs Leben auszudrücken.
Dankbarkeit ist gar keine so einfache Sache. Oder ist das Einfache schwierig für uns? Oder ist es ganz einfach?
Dankbarkeit, keine einfach Sache
Finde ich. Jedenfalls nicht, wenn es aufrichtig gefühlt werden möchte. Damit habe ich mich früher schwergetan. Denn ich fand, dass ich unter «erschwerten Bedingungen» ins Leben gekommen bin, und der Satz «das Leben ist schön» hat in mir öfters einen Widerstand und leichten Groll ausgelöst. In meinen biographischen Forschungsreisen ist mir dabei eine Schlüsselfigur begegnet. Und diese möchte ich euch kurz vorstellen. Nein, es ist nicht meine Mutter, auch nicht mein Vater, dazu später. Es ist jemand...es ist mir bisschen peinlich darüber zu sprechen, denn es scheint für Aussenstehende nicht so nachvollziehbar. Wer meine Worte nun sehr komisch findet, den kann ich sehr gut verstehen. Ging mir bis vor kurzem auch so. Aber ich möchte sie, diese Schlüsselfigur euch dennoch vorstellen. Sie ist nicht physisch anwesend. Aber es brennt eine Kerze für sie, um ihr einen Platz zu geben. Sie hat nämlich keinen Körper und ist nicht auf die Welt gekommen. Es ist mein Zwilling.
Mein Zwilling
Der mit mir im Mutterbauch war. Jene, die einen Zwilling haben, kennen dieses Gefühl. Es ist eine Verbindung, die einzigartig ist. Man ist eigentlich «eins», es gibt keine Trennung, kein Ich und Du, sondern «Eins». Man versteht sich ohne Worte (okay, im Mutterbauch dürfte sprechen sowieso schwierig sein und angesichts des Aufenthalts im Fruchtwasser sogar unmöglich, sprich lebensgefährlich), aber dieses tiefe Verstehen ist einmalig. Ich hab schon mehrmals gehört, dass Zwillinge (wenn beide auf die Welt kommen) sogar eine eigene Sprache entwickeln. Und, das Beste, man hat es einfach sauglatt mit diesem Zwilling. Unendlichen Spass und Sorglosigkeit, weil alles zu zweit einfach lustiger ist. Und dann, eines Tages, antwortet er nicht mehr, bewegt sich nicht mehr, und haut schliesslich ab. Geht einfach weg. Und schickt mich «alleine ins Rennen», sprich in diese Welt.
Das hab ich dann auch gemacht.
Alleine sein im Leben
War aber ziemlich sauer, «alleine» im Leben zu sein. Fühlte mich manchmal einsam und falsch am Platz, dachte wohl öfters mal, warum lebe ich und nicht mein Zwilling. Sollte nicht er statt meiner sein? Wie gerne hätte ich zwischendurch getauscht, oder hatte Schuldgefühle und Scham, Wut und Zorn, dass ich da bin - und mein Zwilling nicht.
Vom Leiden zum Geschenk
Zum Glück finden diese Geschichten auch irgendwann Frieden im Leben und werden zu einer Gabe. Wie auch immer, auf jeden Fall bin ich heute richtig dankbar fürs Leben. Und ich danke meinen Eltern aufrichtig fürs Leben. Meiner früh verstorbenen Mutter und meinem Vater mit Rollator im Pflegeheim, immer schäkernd mit den Pflegerinnen. Ja, das Leben ist schön! Es entspricht nicht immer den Wünschen und Vorstellungen, hat aber immer etwas Grossartiges, etwas Geheimnisvolles und Unermessliches. Und es ist selbsterklärend. Mit allem was geschieht, entfaltet sich fortwährend der Weg, den du gehen kannst, vor dir. Obwohl du ihn nicht im Voraus kennst.
Grossartiges geschieht auch unter erschwerten Bedingungen - oder erst recht
Und es geschehen grossartige Dinge, wie die Geburt meiner Kinder, auf die ich unendlich stolz bin. Auch sie hatten teilweise erschwerte Bedingungen, mit Patchwork-Familie, Bergbauernhof und Gemeinschaftsleben. Aber auch sie waren mutig und sind ins Rennen gekommen und geblieben. Meine Tochter jetzt schon mit Seitenwagen, mit ihrem Freund unterwegs. Mittlerweile weiss ich, dass erschwerte Bedingungen besonders starke Pflanzen und süsse Früchte hervorbringen. Und noch etwas Grossartiges ist geschehen. Vor rund 3 Jahren habe ich Karl kennengelernt und sind seither zusammen im Rennen. Nicht im Seitenwagen, sondern im je eigenen Fahrzeug. Mal nebeneinander, mal hintereinander, mal kreuz und quer und vor allem tanzend. Und Danke an alle, dass wir alle "im Rennen" sind.
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